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Ach, du liebe ZEIT

15.04.2022

Kinder und Corona

Das Thema Gesundheit erregt immer meine Aufmerksamkeit. Auch wenn es um Kinder geht, horche ich als vierfacher Vater immer auf. Und dann das Schlagwort Corona…

Also sprach mich dieser Artikel in DIE ZEIT besonders an.

Hier wird beschrieben, wie und ob Kinder in der Pandemie ernst genommen und ausreichend geschützt wurden. Die Autorin kommt eindeutig zu dem Schluss, dass dies nicht so sei. Ich möchte hier auf gar keinen Fall den Fehler begehen und mich fachlich in die Diskussion einmischen. Dafür fehlt mir die Expertise, was Andere natürlich eher nicht davon abhält ihre individuellen Meinungen und Eindrücke kundzutun.

Was gilt als stichhaltiger Beleg?

Wozu ich mich kurz äußern möchte, ist die Frage wie ein Argument aufgebaut ist. Und wie bei der Konstruktion dieser Argumente mit zweierlei Maß gemessen wird.

Als Chiropractor bin ich recht häufig in der Situation Dinge zu lesen, in denen die Effizienz und Effektivität der von Chiropractoren durchgeführten Behandlungen stark in Zweifel gezogen wird. Die Argumente, welche vorgebracht werden, sind immer die Gleichen und auch darauf möchte ich jetzt nicht eingehen. Es ist aber spannend zu sehen, was in der Medizin als sinnvolles Argument angesehen wird. Ein Beispiel aus dem ZEIT Artikel:

Ein Arzt berichtet über die Anzahl der PIMS Fälle. PIMS ist eine seltene Nebenwirkung einer Corona Infektion und anderer entzündlicher Zustände. Laut dem Arzt hat er an einer Untersuchung mitgewirkt, in denen die Abrechnungsdaten von Krankenkassen als Basis herangezogen wurden, um die Menge der PIMS Fälle zu zählen. Diese Erkenntnisse seien (noch) nicht veröffentlicht und befinden sich auf einem Pre-print Server. Das bedeutet, es hat noch keine fachliche Überprüfung der schriftlich eingereichten Studie stattgefunden. Geschweige denn eine Prüfung der Daten. Denn das ist gar nicht Teil des Peer Review, bei dem andere Fachleute als die Autoren den Text der Studie durchlesen und entscheiden ob es schwere logische oder fachliche Fehler gibt.

Würde ich als Chiropractor oder ein Verbandsvertreter der Chiropractoren ein solches Schriftstück ins Feld führen um damit irgendein fachliches Argument zu untermauern, würde es in der Luft zerrissen werden. Denn der Wert einer mündlichen Aussage über eine unveröffentlichte Studie ist gleich Null. Aber DIE ZEIT ist sich nicht zu Schade bei einem solch wichtigen Thema so etwas anzuführen.

Auch spannend ist die Aussage desselben Arztes über die Frage, wie hoch denn wohl die Gesamthäufigkeit von PIMS in der Bevölkerung sei. ‘Das kommt darauf an, wie hoch wir die Dunkelziffer ansetzen.‘ Das ist vollkommen korrekt. Und das ist auch der Grund, dass die genannten Daten noch weniger herangezogen werden sollten um irgendein Argument zu untermauern. Denn eine Gleichung mit einer Unbekannten völlig unbekannter Größe kann immerhin für alles genutzt werden.

Wie viele Kinder starben ursächlich an den Folgen einer COVID Infektion?

Dieses hoch emotionale Thema werde ich wieder einmal nicht mit meiner fachlich unmaßgeblichen Meinung kommentieren. Es ist aber interessant, wie über die Anzahl der Todesfälle gesprochen wird. Es sind nämlich genau 78. Das wissen die Experten ganz genau. Bei allen Unsicherheiten die bezüglich Interpretation von Tests, Feststellung von Todesursachen insgesamt, Impfstatus der hospitalisierten Fälle usw. bestehen.

Über die anderen Aspekte der Krankengeschichte dieser Kinder herrscht aber erstaunliche Unklarheit. Es ist nichts bekannt über Vorerkrankungen. Wie lässt sich diese Diskrepanz in der Erkenntnis erklären? Ich weiß es nicht, aber es mutet merkwürdig an in einem Bereich so spezifische kausale Erkenntnisse zu besitzen und in einem anderen Bereich völlig ahnungslos zu sein…

Es gibt auch keinerlei Zahlen darüber wie viele Kinder wegen einer COVID Infektion auf Normalstationen behandelt wurden. Warum nicht? Werden diese Daten nicht erfasst? Gibt es hier keine Abrechnungsdaten bei den Krankenkassen? So wenig nützlich und indirekt diese Daten auch sind, sie gäben zumindest einen besseren Hinweis als Anekdoten einzelner Ärzte auf das Infektionsgeschehen bei Kindern.

Um noch ein wenig mehr unspezifische Sorge zu streuen kommt es auch noch zu der Aussage, es gäbe unter COVID infizierten Kindern und Jugendlichen ‘mehr‘ Lungenentzündungen als bei Influenza Infekten. Wie viel mehr? Wie viele Lungenentzündungen gibt es denn unter Influenza? Wie entwickeln sich diese Zustände?

Der ZEIT Artikel ist lang und trägt in keiner Weise zu weniger Unsicherheit bei Eltern, Kindern oder Ärzten bei, was das Thema Corona angeht. Ich finde es schade, dass an solchen Beiträgen deutlich wird wie sehr mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen wird. Aber daran zeigt sich die kulturelle Dominanz einer bestimmten Form der Heilkunde. Mehr geholfen wäre Allen, wenn es eine ausgewogenere und fachlich solidere Berichterstattung gäbe. So könnte der Leser auch einschätzen wie ernst die jeweiligen Informationen zu nehmen seien.

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